Auf der Flucht vor der Putzfrau - Der neue Mann (5)

27.03.2014

Wie jeden Donnerstag Morgen flüchte ich vor der Putzfrau.

Kasia heißt sie, kommt aus Polen und ist weder unfreundlich noch gewalttätig. Im Gegenteil. Das Problem ist: Sie kann kein Deutsch. Ich wiederum hatte in der Schule drei Jahre Polnisch. Das hilft mir 25 Jahre später leider herzlich wenig. Ich könnte zwar noch immer einiges zur Geschichte der Kommunistischen Partei Polens sagen, auch ein paar Zungenbrecher fallen mir noch ein ("W Szczebrzeszynie chrzÄ…szcz brzmi w trzcinie"). Aber wenn Kasia redet, verstehe ich nur "dworzec", das heißt Bahnhof. Nicht als ihr Arbeitgeber, sondern als Mensch ist mir das peinlich. Als sie die ersten Male kam, stand ich da und dachte: Was zum Teufel machen wir hier? Warum stehen sich Menschen, die nicht dieselbe Sprache sprechen, freiwillig in meinem Flur gegenüber und versuchen, mit Händen und Füßen zu klären, welche Putzmittel gekauft werden müssen? Das Ganze führte dazu, dass ich Marie und Isabella nach dem Aufstehen pausenlos antreibe, kurz vor halb neun mit ihnen ins Auto hechte und losdüse. Kasia wird schon einen Zettel schreiben, wenn sie was will.

Nachdem ich meine Damen an der U-Bahn und im Kindergarten abgeliefert habe, fahre ich weiter zur Steglitzer Shoppingmeile und setze mich dort im Foyer eines Einkaufzentrums auf eine mit Leder gepolsterte Bank. Hier, zwischen H&M, Anson's und Goertz, habe ich kostenlos WLan, aber nur für eine Stunde. Wenn ich nicht aufpasse, fliege ich beim Schreiben einer Mail achtkantig aus dem Internet. Deshalb rase ich rechtzeitig in die Stadtteil-Bibliothek im 3. Stock, lasse mir dort ein Code-Kärtchen geben und komme damit weitere zwei Stunden ins Netz. Blöd nur, wenn die Bibliothek wegen einer Betriebsversammlung erst mittags aufmacht - wie vor zwei Wochen.Dann stehe ich eine Weile dumm da, kann nicht glauben, was ich da lesen muss - und verbringe dann die restliche Zeit im Auto. Ich war auch schon manchmal zum Nordic Walking auf dem Mauerweg unterwegs, mit der kranken Paulina stundenlang im Café oder habe den Großeinkauf vorgezogen. Nur nicht zu Hause sein.

Derzeit, wie gesagt, sitze ich meist in der Bibliothek, auf meinem Stammplatz am Fenster, da, wo die Steckdosen sind. Ich logge mich ins Redaktionssystem meines Auftraggebers ein und hacke mein Buch herunter. Hinter mir zocken Schüler verbotenerweise und ziemlich lautstark an den öffenlichen Computern. Mir gegenüber sitzt ein Rentner und motzt vor sich hin, dass das hier früher mal eine Bibliothek war und kein Computercafé.

Berlin, morgens um zehn. Fehlt nur noch das Großstadt-Knoppers - das ist bei mir die Bockwurst, die ich mir eine Stunde später am Wurststand im Erdgeschoss reinpfeife.

Müsste ich alles nicht machen. Ich könnte auch zu Hause sitzen und Kasia herumscheuchen, wenn sie mich stört. Es gibt sicherlich Menschen, die das lieber tun würden. Schließlich zahlen sie ihr gutes Geld - wenn auch wenig davon und schwarz - und die Putzfrau soll doch froh sein, dass sie putzen darf.

Ich dagegen? Mich plagt mein schlesischer Bauernstolz, Erbstück meiner Großmutter. Den eigenen Dreck von jemand anderem wegputzen zu lassen? Eigentlich undenkbar. Diesem Jemand auch noch dabei zusehen müssen, wie er mir meinen Dreck wegputzt? Völlig ausgeschlossen.

Dann schon lieber abhauen.