Der Germinator (Folge 1): Wenn Patjomkin Potemkin besiegt

07.10.2014

War das schön, als ich heute morgen die Berliner Zeitung aufschlug: Auf der Panorama-Seite, in einem Beitrag zum Besuch Gorbatschows zum 40. Republikgeburtstag vor 25 Jahren, stand doch tatsächlich: Er sah ein Potjomkinsches Dorf. Ein potjomkinsches! Kein potemkinsches, wie sonst immer zu lesen. Da weiß offenbar einer, dass das kyrillische "e" mit zwei Pünktchen drüber nicht als "e", sondern als "jo" ausgesprochen wird. Danke, Markus Decker!

Warum ist das der Rede wert? Zum einen, weil russische Wörter in aller Regel falsch in lateinische Buchstaben transkribiert werden. Warum da so ist - keine Ahnung. Natürlich gibt es schwierige Fälle, etwa das russische Weichheitszeichen, das - sofern nicht gänzlich ignoriert - etwa am Ende von "Glasnostj" als "j" transkribiert wird, obwohl es eher wie ein "ch"-Laut in "ich" ausgesprochen wird. In aller Regel lassen sich aber russische Wörter wie "Perestrojka", "Sowjet" oder "Pawlow" problemlos mit lateinischen Buchstaben darstellen.

Dummerweise - und das ist der zweite Punkt - hat jedoch die Uno, EU, G8 oder ein anderes wichtiges Gremium irgendwann beschlossen, bei der Transkription die englische Schreibweise zugrunde zu legen. Das hat fatale Folgen. Nicht nur, dass der russische "Ach"-Laut im Englischen als "kh" erscheint und dann von Deutschen konsequenterweise als "k" gesprochen wird (nicht nur die Stabhochspringerin Lisa Ryzich ["Ryzikh"] und der Fußballspieler Henrich Mchitarjan ["Mkhitarjan"] können ein Lied davon singen). Bei diesem ungeschlachten Vorgehen werden sämtliche Erweichungen gekappt. Ich erinnere mich: Tennisprofi Andrej Medwedjew wurde erst dann nicht mehr "Medwedev" genannt, als sein Namensvetter russischer Präsident wurde und sich die richtige Aussprache sozusagen auf dem Dienstweg durchsetzte. Der schöne Name Fjodorow wird penetrant zu "Fedorov" gemacht. Nicht selten liest man für den Vornamen Georgi die Transkription "Georgyj". Gut, dass Putin so einen leicht auszusprechenden (und zu transkribierenden) Namen hat...

Dritter Punkt: An französischen, spanischen oder italienischen Wörtern würde sich der gemeine Westeuropäer nie derart versündigen - zumindest nicht bewusst. Das fiele ja auf, da würde man ja sehen, dass einer keine Ahnung hat. Da ist man sich auch nicht zu blöd, zwei "capucchini" zu bestellen, obwohl der Plural hier gar nicht nötig wäre. Fast bin ich froh, wenn sich Leute im Restaurant "Gnotschi" und "Bruschetta" kommen lassen. Fast genauso froh, wie über Herrn Deckers korrekte Potjomkinsche Dörfer. Nur eben auf der anderen Seite des Dorfes - da, wo die Schadenfreude wohnt.

Wir reden hier übrigens noch nicht davon, dass das russische unbetonte "o" (wie im Anlaut von Potjomkin) "Murmellaut" heißt und wie ein "a" gesprochen wird - also "Patjomkin". Nein, also wirklich. Die Russen müssen sich gar nicht wundern, dass niemand ihre Sprache spricht.

Apropos Mchitarjan (siehe oben): Der ist zwar Armenier und kein Russe, doch bleibt er deshalb mitnichten von westlicher Sprachignoranz verschont. Im Gegenteil. Er, der im deutschen Fernsehen flächendeckend "Mickitárjan" genannt wird, bekam sogar den Spitznamen "Mickey" verpasst. Dabei hat sein - korrekt ausgesprochener - Name mit Mickey so viel zu tun wie der von Ciro Immobile mit Eigenheim (ähem, hüstel). Die Lautkombination "Mch" zu Beginn lähmt offenbar schon beim Hinschauen jedem westdeutschen (und skandalöserweise zunehmend auch im Osten ausgebildeten wie Herrn Skulski vom ZDF - hier vollendet sich der Anschluss der DDR auf ganz besondere Weise) Fußball-Kommentator derart die Zunge, dass er eine korrekte Aussprache gar nicht erst versucht. Dabei wäre es so einfach, das "M" allenfalls anzudeuten und den Rest schön langsam auszusprechen, mit Betonung auf dem letzten "a". Strengt euch an, Leute! Bei Mchitarjans Mannschaftskollegen Pierre-Emerick Aubamejang hat's doch nach ein paar Anlaufschwierigkeiten auch geklappt - aber der ist ja auch Franzose bzw. stammt aus der Ex-Kolonie Gabun.

Ommmm. Konzentrieren. Drei-zwo-eins. Und jetzt alle so: "Chitarján". Und jetzt mit angedeutetem "M": Mchitarján.

Mchitarján!