Guter Kölner Tatort gestern: Gewalttätige Jugendliche schlagen einen jungen Mann auf dem Bahnsteig tot und versuchen danach, sich feige und dreist aus der Affäre zu stehlen. Interessant auch die jeweiligen Familienverhältnisse, die die jungen Leute auf die schiefe Bahn geraten ließen: Einmal der alleinerziehende und völlig überforderte Vater, der von seinem Sohn zusammengeschlagen wird, dann die Richterin, die überhaupt keinen Draht mehr zu ihrem Sohn hat, dort das Paar, das sich seit Jahren nichts mehr zu sagen hat, nachdem es ein Kind doch so sehr wollte, sogar medizinische Hilfe in Anspruch nahm und das Mädchen dann - als es endlich geklappt hatte - in Watte packte. Nur Liebe gab es nicht - oder wie Ballauf sagte: "Emotionen unterm Gefrierpunkt". Das musste das Mädchen ja böse und kriminell werden.
Leider ist diese Ursachenforschung insgesamt Blödsinn (siehe auch Filmkritik auf stern.de) und strotzt im Detail vor sachlichen Fehlern. Der Vater erzählte, das Mädchen sei durch Insemination gezeugt worden - eine "hochkomplizierte Sache". Ist es aber nicht. Die Insemination ist eine der, wenn nicht die einfachste Form der künstlichen Befruchtung - ist aber eigentlich nur eine unterstützende Maßnahme und im engeren Sinn nicht mal IVF. Dabei wrd der Frau über einen Katheter der vorher aufbereitete Samen des Mannes durch die Vagina in die Gebärmutter gespült, um so für die Spermien den Weg zur befruchtungsfähigen Eizelle zu verkürzen. Die Frau wird in manchen Fällen vorher hormonell stimuliert (ein, zwei Spritzen), damit die Eizelle sich auch gut entwickelt. Dann wird der Eisprung wiederum durch ein Hormon ausgelöst. Das alles muss aber nicht sein. Es gibt auch die "Insemination im Spontanzyklus".
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass zwar auch dieser Weg mit psychischen Belastungen verbunden ist - mit den Strapazen im Vorfeld einer klassischen Reagenzglasbefruchtung (IVF oder ICSI) und dem wochenlangen Spritzen und Tablettenschlucken zur Stimulation der Eierstöcke ist das jedoch kaum zu vergleichen.
An einer anderen Stelle sagt die Frau im Film, sie hätte seit der Geburt ihrer Tochter nicht mehr mit ihrem Mann geschlafen, weil der Sex nach Zeitplan im Rahmen der Kinderwunschbehandlung sie nervlich so fertiggemacht und das körperliche Verlangen zerstört hätte. Abgesehen davon, dass das keineswegs zwangsläufig so ist, kann derart geplanter Geschlechtsverkehr mit dem Ziel einer Schwangerschaft natürlich schlimme Folgen für die Beziehung haben. Sex nach der Uhr, während der Arzt den weiblichen Zyklus überwacht und grünes Licht für Sex gibt bzw. darauf drängt, ist aber wieder eine andere Variante, mit der sich Paare ihren Kinderwunsch erfüllen können - wenn man so will, noch eine Stufe unter der Insemination. Hätte das Drehbuch meiner Ansicht nach erklären müssen.
Richtig gestört hat mich aber der unterschwellige Eindruck, der bei vielen Zuschauern hängengeblieben sein dürfte: Durch künstliche Befruchtung entstandene Kinder werden von ihren Eltern kritiklos verhätschelt, dürfen alles, kennen keine Grenzen mehr und geraten so fast zwangsläufig mit dem Gesetz in Konflikt. Das ist Blödsinn! Genauso könnte man Studien heranziehen, die besagen, dass IVF-Kinder es im Leben weiter bringen, weil ihre Eltern sich ihnen voller Liebe und Aufmerksamkeit widmen - mehr als "normale" Eltern dies gemeinhin tun. Das ist auch übertrieben, weil es die Unterscheidung "natürlich gezeugt / künstlich befruchtet" zementiert. Sind aber letztlich nur zwei Seiten derselben Medaille.
Ich bin sicherlich voreingenommen - aber wer schon mal erleben durfte, welchen Vorwürfen sich ungewollt Kinderlose in Internetforen ausgesetzt sehen (von wegen "egoistische Typen, die nicht akzeptieren können, dass die Natur für sie keine Kinder vorgesehen hat" oder "wird schon seinen Grund haben, wenn manche kinderlos bleiben sollen" oder "warum warten diese Karrieretypen auch so lange?"), der wünscht sich zumindest eine etwas differenzierendere Darstellung.
Klar, das war nicht das Thema des Films. Trotzdem wäre gerade in dieser Hinsicht ein wenig Fingerspitzengefühl wohltuend. In einem anderen Tatort vor ca. zwei Jahren war der unfruchtbare Mann am Ende der fiese Mörder. Scheinbar müssen Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch aus irgendeinem Grund immer ins Zwielicht gesetzt werden.
Ich würde dagegen gern mal eine richtige Heldengeschichte im "Tatort" sehen, mit einem Kinderwunschpaar in der Hauptrolle.