Kaffee. Was ich jetzt brauche ist ein Kaffee. Neun Uhr morgens, ich komme gerade zurück nach Hause. Isabella habe ich am U-Bahnhof abgesetzt, Marie ins Getümmel des Kindergartens entlassen. Der erste Punkt auf der Liste ist abgehakt. Jetzt kann mein Arbeitstag beginnen.
Könnte. Eigentlich. Denn eine bleierne Müdigkeit kriecht mir gerade in die Knochen. War wohl doch zu spät gestern Abend. Noch ein Stündchen hinlegen? Kurz liebäugele ich mit dieser Option – wozu ist man denn freischaffend – dann schiebe ich sie beiseite.
Also Kaffee. Ich schaufele Bohnen in die Mühle, schreddere sie durch, schütte das duftende, braune Mehl in den Filter, fülle Wasser in die Maschine, drücke aufs Knöpfchen – und spüre, wie meine Stimmung steigt. Noch eine Tasse vom Regal geangelt, Milch aus dem Kühlschrank gen...
Mitten in der Bewegung bleibt mein Arm in der Luft hängen. Im Kühlschrank ist gar keine Milch. Keine Milch nirgends. Keine volle Tüte, keine fast leere, noch nicht einmal eines dieser Plasteteile mit Kondensmilch. Kaffee ohne Milch kommt für mich nicht in Frage, das ist wie Bockwurst ohne Senf. Ungenießbar.
Ich spüre Wut in mir aufsteigen. Ich bin mir sicher, gestern noch zwei Milchtüten gesehen zu haben – eine davon voll. Die andere sehe ich im Mülleimer liegen. Leer. Wo ist die volle? Mir kommt ein vertrauter Gedanke: Isabella. Für den Kaffee auf Arbeit nimmt sie sich öfter mal eine Milch mit, da ihre Redaktion in einer Gegend liegt, wo es keinerlei Supermärkte oder Edeka-Läden gibt. Ich habe sie hundertmal gebeten, mir Bescheid zu sagen, wenn sie merkt, dass uns zu Hause etwas ausgeht: Haferflocken, Pfefferminztee – oder eben Milch. Hundertmal? Ach was, tausendmal! Schließlich bin ich der Mann und lege die Vorräte an. Wie in der Steinzeit. Nur dass wir Männer die Reserven heute auf Bestellung nachfüllen können und früher nur, wenn gerade ein Mammut vorbeikam.
„Schatz“, sage ich immer. „Bitte sag' mir Bescheid, wenn du die letzte Milchpappe mitnimmst.“
Maulen. Dann der Gegenangriff.
„Weißt du eigentlich, um wie viele Dinge ich mich morgens kümmern muss? Wenn ich jetzt auch noch jedes Mal Bescheid sagen soll, wenn ich mir etwas aus dem Schrank nehme, werde ich überhaupt nicht mehr fertig.“
Mein Hinweis, sie könne es ja auf einen Einkaufszettel notieren, wenn sie nicht sprechen wolle, wird dann mit einem Blick quittiert, der mir sagt, dass ein Tornado im Anmarsch ist. Wir einigen uns dann jedes Mal darauf, dass sich künftig jeder Mühe gibt und den anderen nicht mit überzogenen Forderungen traktiert. Ein Minimalkonsens, der uns kaum voranbringt.
Der Kaffee ist fertig. Ich habe keine Milch. Was müsste ich tun, damit sich vor mir wenigstens ein Tetrapak mit H-Milch materialisiert? Mir fällt nichts ein.
Keine Milch. Das ist für meine Ansprüche von vorausschauender Haushaltsführung ungefähr der Super-Gau. Wo ich doch regelmäßig einen Ersatz-Senf, Ersatz-Ketchup und Ersatz-Saure-Gurken-Gläser in den Vorratsschrank packe, lange noch bevor die alten sich dem Ende neigen. Wo ich halbe Brote und Butterstücke einfriere, nur, damit wir nicht Not leiden müssen. Von Nudeln, Reis und Tomaten-Konserven gar nicht zu reden.
Das führt doch zu nichts, sage ich mir, und begreife trotzdem nur langsam: Weder alte Meriten, noch ohnmächtige Wut noch heftiges Wünschen werden mir jetzt helfen.
Gegen meine innerste Überzeugung und gegen meinen Willen öffne ich die Wohnungstür, laufe zwei Meter über den Flur und klingele bei den Nachbarn.
Eine Minute später sitze ich vor meinem dampfenden Kaffee, in den ich gerade widerwillig einen Schluck "geborgte" Milch gekippt habe und frage mich zwei Dinge: Muss ich ein anderes System installieren, eines, dass „Just-ran-out-of-something“-Situationen verhindert? Und: Muss ich mich wirklich immer so haben, wenn ich andere Leute um etwas bitten soll?