Marie muss zum Ballett, unbedingt. Das Kind hat Talent.
„Schau' doch mal“, flüstert meine Frau verzückt, sobald irgendwo Musik ertönt und Marie leicht in den Knien wippt. „Diese Anmut, dieses Rhythmusgefühl – einfach phänomenal.“ Ich weiß nicht, was sie meint. Vor mir steht eine Vierjährige, die lustig die Augen verdreht, den Saum ihres Kleidchens lüpft und mit dem Popo wackelt wie ein Erpel auf Brautfang.
„Was ist, wenn sie gar nicht zum Ballett will?“, wende ich zuweilen ein, wenn die Rede auf Maries Talente kommt. Ich hatte eher an etwas Handfestes wie Fußball gedacht. Da hat man einen Ball, ein Ziel und eine Mannschaft, mit der man es erreicht. Stichwort Sozialkompetenz.
Diese schöne Argumentationskette kann ich mir seit heute sparen, denn Marie hat sich entschieden: Sie will tanzen. Also darf sie bald in die Ballettschule gehen – auf der Warteliste steht sie schon. Isabella hat sich extra frei genommen, um beim Tag der offenen Tür die Schulleiterin zu umgarnen.
„Wenn es Marie nicht gefällt, dann lassen wir es halt wieder“, erklärt sie fröhlich.
Schon klar, Schatz.
„Würdest Du es denn schaffen, Marie ab September einmal pro Woche hinzubringen“, fragt meine Frau und klimpert mit den Augen. „Die Stunde geht immer um 15 Uhr los, so früh komme ich im Büro nicht weg.“
„Hmm“, mache ich. „Dann muss ich ja um 14.30 Uhr Feierabend machen.“ Das ist eigentlich kein Problem, aber ich will die Sache nicht einfach nur abnicken. Habe ja schließlich einen Job zu erledigen, zu Hause am Schreibtisch.
„Wie soll das denn sonst gehen?“, fragt Isabella und runzelt die Stirn. „Du kannst doch am Abend weiterarbeiten, wenn ich nach Hause komme.“ Klar könnte ich das, aber was wird dann aus meinem Feierabend? Und überhaupt: Von Fußball redet gar keiner mehr. Andererseits: Marie ist nun mal ein Mädchen – da ist Ballett nicht völlig abwegig. Irgendwie sogar naheliegend. Und derlei findet nun mal nicht nach 19 Uhr statt. Trotzdem bin ich noch nicht so weit.
„Vielleicht könnte ich ja während des Unterrichts an meinem Laptop arbeiten“, schlage ich beiläufig vor. „Frag' doch die Chefin morgen mal, ob sie in der Ballettschule WLan haben.“
„Ich soll - was?“ Meine Frau sieht mich an, als hätte ich ihr vorgeschlagen, nackt vor die Wohnungstür zu gehen. „Weelaahn“, wiederhole ich. „Dann könnte ich wenigstens meine Mails checken. Das geht doch heute fast überall.“
„Bitte“, flüstert Isabella. „Es ist doch nur eine Stunde. Bring' Marie bitte einfach hin und hol' sie wieder ab.“
Plötzlich hellt sich ihr Gesicht auf. „Oder schließ' doch einfach dein Smartphone ans Notebook an. Du hast mir doch erst gestern erzählt, dass man es prima als Modem verwenden kann.“
Eiskalt verwandelt. Ich strecke die Waffen.
“Wann war nochmal die erste Stunde?“