Halb zehn in Deutschland. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, es weht ein leichter Wind. Bevor ich mich an den Schreibtisch setze, hänge ich auf der Terrasse frisch gewaschene Wäsche auf das Trocknergestell: T-Shirts, Jeans, Unterhosen, Socken. Schön glattziehen, über die Strippe fädeln, geradezuppeln. Klammer hier, Klammer da, alles sitzt perfekt. Glatt, ordentlich, optimized for Open-air-drying. Im Baum zwitschern die Vögel, ein Flugzeug zieht seine Bahn – das Leben ist schön.
Da röhrt ein paar Meter vor mir eine Motorsäge los. Bis vor zwei Jahren war das Nachbargrundstück ein dichter Dschungel, in dem Eichhörnchen, Füchse und Fledermäuse lebten. Seitdem wird gebaut. Inzwischen sind drei gelbe, dreigeschossige Klötze aus dem Boden gewachsen, mit Tiefgarage, Balkonen so groß wie Tennisplätze und Aufzügen, die direkt im Penthouse halten.
Seit vier Wochen werden die Außenanlagen gestylt, Wege angelegt und Blümchen gepflanzt. Hinter der Hecke laufen pausenlos muskulöse Kerle in dreckigen Klamotten hin und her und schleppen Sachen durch die Gegend: Profilsteine, Bottiche voller Mutterboden, Zaunpfähle. Täusche ich mich oder mustern sie mich aus den Augenwinkeln? Mir ist fast, als könnte ich ihre Gedanken lesen: Was macht der Typ am Vormittag zu Hause? Doch nicht etwa Hausarbeit, harr, harr.
Ich könnte wetten, gleich kommt ein Spruch – und ertappe mich dabei, wie ich mir Antworten zurechtlege.
Variante 1
Bauarbeiter: „Traumjob, ja? “
Ich: „Nee, den hast Du ja schon. Immer an der frischen Luft und im Winter arbeitslos.“
Variante 2
Bauarbeiter: „Dann jeb' ick Dir ma' meine Dreckwäsche und hol' allet zum Feierabend wieder ab, ja?“
Ich: „Gern. Dich stört es ja sicher nicht, wenn die Sachen dann einen Rosa-Stich haben.“
Variante 3
Bauarbeiter: „Guten Morgen!“
Ich: „Halt' am besten einfach die Klappe, du Blödmann!“
Vor allem Variante 3 bringt mich leicht ins Grübeln. Wofür muss ich mich wappnen? Um ein Wortgefecht mit einem Bauarbeiter zu gewinnen? Warum kann ich nicht einfach locker bleiben und Wäsche aufhängen? Komme ich mit meiner Rolle als Homeworker und Teilzeit-Hausmann nicht klar? Was will ich beweisen – und wem?
Frei sein, Zeit haben für die Familie – das war es doch, was ich wollte! Ungestört arbeiten. Fünf, sechs Stunden am Tag, dann Marie vom Kindergarten abholen und mir ihr spielen. Quality time. Nebenher einkaufen, abspülen, Abendbrot machen. Mit meiner Frau den Abend verbringen. Ein moderner, zufriedener Mann sein – das wollte ich. Und genau das bin ich auch, verdammt noch mal!
Puuh, schon besser. Wäre doch gelacht.
Die Arbeiter sind inzwischen frühstücken gegangen – keiner von ihnen hat auch nur ein Wörtchen verloren. Es ist himmlisch ruhig. Die letzten Klammern, fertig. Wäscheständer auf die Wiese – und ab an den Schreibtisch.
„Na, hältst du Deiner Frau schön den Rücken frei?“, tönt es von oben. Ich hebe den Kopf. Mein Nachbar Tim, Arzt im Schichtdienst und Vater zweier Kinder, hängt grinsend auf der Balkonbrüstung. „Wusste gar nicht, dass Du jetzt auch in Wäsche machst.“
„Warum nicht?“, antworte ich schlapp und wünschte, ich hätte eine Antwort parat, die ich ihm wie eine Handgranate auf den Balkon schleudern könnte.
„Na, dann – viel Spaß noch“, höre ich Tim sagen.
Es ist noch ein verdammt weiter Weg für uns Männer, denke ich, als ich die Terrassentür hinter mir schließe.