Saß ich früher in der Redaktion am Schreibtisch und starrte auf die unbeantworteten Mails auf meinem Bildschirm, bekam ich schlagartig schlechte Laune. Wochen-, monate-, manchmal jahrelang dümpelten manche Nachrichten da herum. Dabei handelte es sich um Dinge wie die ausnahmsweise interessante Pressemitteilung einer Bank oder den Vorschlag einer PR-Agentur, doch ein Telefonforum für Leser zu organisieren. Einmal forderte mich ein Leser doch tatsächlich auf, für ihn seine Steuererklärung zu machen - aber dazu später. Im Ganzen waren es also Mails, die nach Arbeit aussahen - die aber nicht wirklich dringend waren. Oft nicht einmal wichtig.
Um nicht leichtfertig Ideen zu verschenken oder gar ignorant zu sein, hob ich sie dennoch auf. Vorläufig. Bis ich Zeit haben würde, mich damit zu beschäftigen.
Mein Posteingang schwoll an - und ich hatte das Gefühl, dass jede Menge Arbeit unerledigt war. Nur der hat schließlich seinen Laden im Griff, dachte ich, der seinen Posteingang bis zum Feierabend geleert hat.
Doch in mir regte sich Widerstand. Wann, bitte, sollte ich denn die Mails beantworten, wenn ich ständig in Meetings saß? Wie sollte ich mich von einer Idee anregen lassen, wenn neue Themen ohnehin kaum mal im Heft landeten? Solche Fragen stellte ich mir dann - während die Mails unberührt vor sich hinwelkten und meine Laune immer mieser wurde. Ich hasste diesen Zustand, hasste die Mails und irgendwie auch die Menschen, die sie an mich geschickt hatten.
Irgendwann geschah etwas Überraschendes: Die ältesten Nachrichten warien m Lauf der Zeit immer weiter nuach unten gerutscht und wurden schließlich von den neueren aus dem Bildschirmfenster geschoben. Weg waren sie, meine Zombie-Mails. Nicht eine, die ich vermisst hätte. Ich scrollte schnell nach unten, markierte die Mails mit einem Klick und drückte dann die "Delete"-Taste
Da ich kurzerhand auch den "Gelöscht"-Ordner leerte, war ich die untersten Schichten meines Postfach-Bodensatzes für immer los - leider jedoch aufgeschmissen, als mein Chef mich einmal nach dem Rentner mit der Steuererklärung fragte. Der Mann hatte bei ihm angerufen und sich über meine Untätigkeit beschwert.
Jedenfalls beschloss ich, endlich nicht mehr Sklave meines Posteingangs zu sein und mich künftig an ein paar Regeln zu halten. Dieser Entschluss fiel zusammen mit meiner Entscheidung, mich selbstständig zu machen.
Regel 1: Jede Mail lesen, statt sie zu überfliegen. Regel 2: Sofort entscheiden, ob die Mail wichtig bzw. nützlich ist oder nicht. Falls nicht - löschen! Regel 3: Unterordner nur für Mails anlegen, die wichtig oder nützlich sind. Regel 4: Unterordner einmal wöchentlich ausmisten. Mindestens!
Das schafft nicht nur Ordnung. Auch meine Laune ist seitdem erheblich besser.